Babygeschrei statt Mathe-Unterricht

Erstellt von S. Seeger |

Über einen Zeitraum von mehreren Monaten lernt der Jahrgang 9 manches über eigene Lebensgestaltung und Verantwortung für fremdes Leben.

Das UPS-Projekt steht als Abkürzung für "ungeplant schwanger" und findet für jeweils eine der sieben Parallelklassen an drei Vormittagen - mittwochs, donnerstags, freitags - von acht bis elf Uhr statt. Unter der Leitung von ein bis zwei erfahrenen Krankenschwestern, die im Werler Verein GIP (Gewaltintervention und -prävention) mitarbeiten, geht es hier um ganz konkrete Fragen nach der eigenen Zukunft, deren Vorstellung, um Wünsche und um die eigene Familie, die jetzige wie auch die eventuell zukünftig eigene. Diese Themen werden ohne Beisein und Begleitung durch Lehrkräfte angesprochen und aufbereitet.

Neben dieser "Theorie" ist vor allem die "Praxis" mit den bis zu acht zur Verfügung stehenden lebensgroßen Babypuppen das Highlight des Projekts. Sind die Puppen während der eigentlichen Projektvormittage ausgeschaltet, geht es jeweils ab elf Uhr los: Wenn zum Teil fünf, sechs oder sieben Puppen gleichzeitig nach Nahrung, frischen Windeln oder weiterer Aufmerksamkeit verlangen, ist an normalen Unterricht nicht mehr zu denken. Da stehen nicht nur für die jungen "Mütter" ihre "Kinder" voll und ganz im Fokus, sondern auch die Mitschüler nehmen lebhaft Anteil am "Schicksal" der Babypuppen.

Ein Armband am Handgelenk der Schülerinnen stellt die Verbindung zur Puppe her und mittels Chip wird überprüft, ob und in welchem Maße die "Kinder" versorgt wurden. Die jungen "Mütter" haben also nicht nur für drei Tage und zwei Nächte die Aufgabe, sich um ihr "Kind" zu kümmern, sondern stehen an den langen Schultagen bis nachmittags um halb vier auch unter "Beobachtung" ihrer Mitschüler.

Anders als im wirklichen Leben werden die "Babys" nämlich jeden Tag mit zur "Arbeit" gebracht und auch während dieser "Arbeit", sprich Schulstunden, ungeachtet anderer schulischer Notwendigkeiten, umhegt und gepflegt (ausgenommen in den Projektstunden), was verständlicherweise ein hohes Maß an Ablenkung mit sich bringen kann.

Jeweils am Freitagvormittag werden die Puppen wieder abgegeben und am Wochenende herrscht wieder Ruhe bei den jungen, freiwilligen "Eltern auf Zeit"... Wie würde wohl die Zahl der jungen "Mütter" ausfallen, wenn die Puppen nicht während der Schulzeit um Aufmerksamkeit heischen würden, sondern auch und vor allem am Wochenende, wenn sich die noch ungeübten "Mütter" und ihre "Kinder" ohne großes "Publikum" ganz auf sich selbst konzentrieren könnten? 

Lesen Sie dazu auch den <link file:3868 download durch aufklã¤rung>Artikel des Soester Anzeigers vom 03.03.2017.

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Foto: Soester Anzeiger (Maximilian Grun)