Zwischen Mauerfall und Klimademo

Erstellt von S. Seeger |

30 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands machten sich erneut vier Abschlussklassen auf den Weg nach Berlin und Potsdam.

Den 30. Jahrestag zum "Tag der deutschen Einheit" verpassten wir nur um vier Tage, als es vom 7. bis 11. Oktober 2019 zum dritten Mal seit Bestehen unserer Schule in die deutsche Hauptstadt ging.
Drei der vier Zehnerklassen stürzten sich mitten hinein in die "Berliner Luft", während die 10b sich für Potsdam entschieden hatte und die Hauptstadt von dort aus nach jeweils circa einstündiger Busfahrt an zwei Tagen besuchte. In Berlin standen in einer bunten Mischung sowohl eigene als auch gemeinsam gebuchte Programmpunkte für die Zehnerschüler auf dem Plan.

Eine ganz andere Richtung steuerten dieses Jahr die Klassen 10c und 10d an: Hier machte Dänemark als Abschlussziel das Rennen.

Fahrt in die Bundeshauptstadt

Bei strahlendem Sonnenschein ging es für die Klassen 10a, b, e und f morgens um acht Uhr in zwei Bussen in Richtung Osten. Nach problemloser Anreise und "Ablieferung" der Schülerinnen und Schüler in ihren jeweiligen Hotels in Berlin und Potsdam erkundete man noch ein wenig die nähere Umgebung.

Berlin mit den Augen der 10f

Für die 10f ging es am selben Nachmittag noch in den altehrwürdigen Reichstag: Die Zuschauertribüne im Plenarsaal des Bundestags erwartete uns und unter dem wachsamen Auge des Bundesadlers - oder wegen seiner etwas rundlichen Form weniger majestätisch auch "Fette Henne" genannt - lauschten wir den Ausführungen des Guides, der sicher viel Interessantes über den Bundestag, seine Zusammensetzung und dessen Geschichte zu erzählen wusste... wenn man ihn besser verstanden hätte, denn er scheint einen Kurs im Schnellsprechen mitgemacht zu haben...

Im Anschluss quetschten wir uns mit den zig anderen nationalen und internationalen Besuchern des Reichstags in den Fahrstuhl, um ein Stockwerk höher die Dachterrasse zu besuchen. Im Lift konnte man am eigenen Leibe spüren, was wir wenige Minuten zuvor erfahren hatten: der deutsche Bundestag ist eines der meistbesuchten Parlamente der Welt. Doch bei der nachfolgenden Rundumsicht über Berlin konnte man ja wieder "durchatmen"...

Leider war die eindrucksvolle gläserne Kuppel geschlossen, denn ausgerechnet in der sitzungsfreien Woche unseres Berlinbesuches übernahmen die Fensterputzer eine geschlagene Woche lang die Herrschaft über Glas und Spiegel. Ein Grund mehr für die Schüler, unserer Hauptstadt noch einmal einen Besuch abzustatten, wenn das Wahrzeichen des Reichstagsgebäudes wieder geöffnet ist.

Das eigentliche Sinnbild Berlins konnten wir jedoch danach noch ablichten, es liegt ja nur "um die Ecke" des Reichstags und auf dem Weg zu unserer U-Bahn-Station: Das Brandenburger Tor.

Stadtrundfahrt mit Hindernissen

Am nächsten Morgen ging es zusammen mit der 10b im Reisebus, der uns auch nach Berlin gebracht hatte und vor Ort blieb, zur zweistündigen Stadtrundfahrt. Die zugestiegene Stadtführerin vermittelte uns viele Fakten rund um Berlin und versuchte uns zu den markanten Punkten der Stadt zu lotsen... wenn... ja, wenn nicht die Demonstranten der Klimabewegung "Extinction Rebellion" just während dieser Zeit (und noch die ganze Woche an verschiedenen weiteren Orten) den Potsdamer Platz - einen zentralen Ort Berlins - besetzt hätten und sich dadurch ein Verkehrschaos par excellence aufbaute. So wurde der Konjunktiv von der Reiseleiterin häufiger bedient als uns lieb war: "Da hinten wäre das Bundeskanzleramt...", "Jetzt könnten wir zum Brandenburger Tor (oder auch  nicht) ..." Schließlich stiegen wir aus - jetzt auch noch im strömenden Regen, um zu Fuß den ein oder anderen sehenswerten Punkt anzusteuern: den Bebelplatz, auf dem 1933 die Nazis Bücher verbrannten und ein besonderes Mahnmal daran erinnert: eine im Boden eingelassene Glasscheibe, unter der ein leeres Regal zu sehen ist, als Symbol für zigtausende verbrannte Bücher, die nicht in das verzerrte, eingeengte und brutale Weltbild der Nationalsozialisten passten.

Etwas später machten wir Halt an der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße. Dort ging es nicht um die Zeit der Nationalsozialisten, sondern hier wurden die Schrecken der Teilung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg anschaulich vor Augen geführt. Die Mauer durch Berlin von 1961 bis 1989 trennte Familien, Freunde, war wie ein Gefängnis, ein diktatorischer Überwachungsstaat der anderen Art entstand...

Stadtrallye: Hin und Her mit U- und S-Bahn

Wieder im Hier und Jetzt bot eine mehrstündige U- und S-Bahn-Rallye am Nachmittag mit verschiedenen zu erreichenden Stationen und einem kleinen Preisgeld den Schülern Gelegenheit und Chance, sich selbstständig im Gewirr des Berliner ÖPNV zurechtzufinden. Manchmal eine regelrechte "Kunst" für uns ortsfremde "Provinzler"... aber im Verlauf der Woche klappte das dann meist "wie am Schnürchen".

Disco-Abend im "Matrix"

Zu heißen Rhythmen, wummernden Bässen und flimmernden Diso-Lights ging es schließlich am Abend im Matrix, einer der angesagtesten Clubs in Berlin, tänzerisch zur Sache. Hier waren wieder alle vier "Berlin-Klassen" unseres Abschlussjahrgangs gemeinsam - teilweise samt Lehrern - auf der Tanzfläche. Eine schweißtreibende Angelegenheit in der saunaartig aufgeheizten Luft...

Und plötzlich gewinnt das Holocaust-Mahnmal an tragische, aktuelle Bedeutung...

Bevor es am Mittwochabend "ins Gefängnis" ging, besuchten wir tagsüber weitere stadtbekannte "Hot-Spots" Berlins, die jeweils mit Schülerreferaten aufgearbeitet worden waren: So etwa das Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals, das an die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden erinnert. Und abends erfuhren wir aus den Medien, dass es just am heutigen Tag, am 9. Oktober 2019, den fürchterlichen Terroranschlag eines Rechtsextremisten auf die Synagoge in Halle an der Saale gegeben hatte, mit dem Ziel eines Massenmordes an Juden am höchsten jüdischen Feiertag, dem Jom Kippur...

Berlin ist voller Geschichte(n), das konnten wir auch am nächsten Besichtigungsort sehen, dem Checkpoint-Charlie. Hier stand wieder die ganze Tragik der Teilung Deutschlands vor Augen, sowohl direkt am ehemaligen Grenzübergang der Alliierten mit Kontrollbaracke, Flaggen und Sandsäcken als auch vor allem sehr plastisch dargestellt in der 360°-Panorama-Ausstellung im Maßstab 1:1. Hier konnten wir das Leben an der Mauer im Berlin der 80er-Jahre gut nachvollziehen.

Beklemmende Eindrücke im Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen und Karl-Heinz Richter als Zeitzeuge

Am frühen Abend stand einer der wichtigsten Punkte der Berlinfahrt auf dem Programm: Der Besuch der Gedenkstätte Hohenschönhausen, dem ehemaligen Stasi-Gefängnis. Hier saßen über einen Zeitraum von 44 Jahren politische Gefangene ein, die sich nicht dem unbarmherzigen Regime des DDR-Überwachungsstaates beugen wollten. Wir hatten das große Glück, mit Karl-Heinz Richter einen Zeitzeugen als Guide zu bekommen, der in beeindruckender Art und Weise und auf Augenhöhe mit den Schülern über seinen eigenen, gescheiterten Fluchtversuch 1964 berichtete, über die darauffolgende Zeit der Inhaftierung und Demütigung, der aber auch seine bis zum heutigen Tag niemals gebrochene Rebellion gegen den Unrechtsstaat der DDR verdeutlichte. 17 Menschen hatte er durch seinen Mut und unbändigen Freiheitswillen zur Flucht verhelfen können. "Ihr lebt in einer Demokratie, tut etwas dafür, erhaltet sie! Denkt selbst und überlasst nicht anderen das Denken und Führen!", so sein Aufruf an die Schüler.

Das Leben in der "Deutschen Demokratischen Republik"

Im DDR-Museum wurden uns am Donnerstag alle möglichen Facetten des ehemaligen Lebens in der DDR aufgezeigt. Das Spannendste für unsere Schüler war aber ohne Zweifel die wilde Trabbi-Fahrt durch eine typische Plattenbausiedlung Ostberlins, virtuell auf die Windschutzscheibe des Autos projiziert und im Original-Trabant sitzend. Was heißt "wild": Der kleine Zweitakter aus Plaste brachte es bei 26 PS auf eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h. 24 Liter fasste der Tank. Bei 7 Litern Verbrauch pro 100 km hieß es wohl entweder häufiger tanken oder weniger fahren...

Eine "Vollkomfortwohnung" in der Plattenbausiedlung, durch die man eben noch virtuell mit dem Trabbi gekurvt war, war das erstrebenswerte Ziel des DDR-Bürgers. Im Maßstab 1:1 durchliefen wir diese voll eingerichtete Wohnung, inklusive gefüllter Schränke. Und doch machte sich an anderer Stelle der allgegenwärtige Mangel an Alltagsgegenständen und Lebensmittel bemerkbar. Nur die obersten Genossen, die hatten ihr eigenes Ladenkombinat mit immer prall gefüllten Regalen. Und Sonderwünsche bestellten sich die Parteioberen aus dem westdeutschen Quelle-Katalog... An Ungerechtigkeit kaum zu überbieten...

Im Technikmuseum und Science Center Spectrum

Viel Staunenswertes ganz anderer Art erlebten wir im Technikmuseum und Science Center Spectrum, der interaktiven "Abteilung". Eine Fülle von Mitmachangeboten lud zu einer Entdeckungsreise in die Welt der Physik ein, manchmal wurde man fast schon "erschlagen" von den ganzen Eindrücken und Informationstafeln... Auch wenn man in der relativen Kürze der Zeit längst nicht alles sieht und erfasst, so bleibt dennoch klar die Einsicht zurück, zu welch technischen Meisterleistungen der Mensch in der Lage ist.

"Berlin leuchtet" - nur nicht da, wo wir sind...

Eigentlich wollten wir am Abend zum Abschluss noch ein paar bunt bestrahlte Gebäude des Events "Berlin leuchtet" ansehen. Dieses "Festival of lights" sollte am Vortag beginnen und noch anderthalb Wochen andauern (09.- 20.10.2019). Doch die Füße waren "platt" und das Brandenburger Tor im schnöden weißen Dauerlicht, wie wir nach Ankunft dort feststellen mussten - wie schade... "Nur" das benachbarte Nobel-Hotel "Adlon" war bunt beleuchtet, das Brandenburger Tor sollte erst am nächsten Tag sein illuminiertes Kleid bekommen, so teilte uns die dort allgegenwärtige Polizei netterweise mit. Viele der im Programm aufgeführten Gebäude hielten sich an diesem Donnerstag noch vornehm zurück mit ihren Lichtinstallationen. So richtig los ging's wohl erst am Wochenende. Für den Fußmarsch zum bereits am heutigen Tag illuminierten Berliner Dom oder zur Fassade der Humboldt-Universität fehlte uns nun bei wieder einsetzendem Regen schlichtweg die Motivation...  Wieder ein Grund, noch einmal nach Berlin zu reisen...

Neben all der Kultur und den gemeinsamen Programmpunkten war natürlich auch noch ausgiebig Zeit zum selbstständigen Erkunden der Stadt, schließlich waren die Fahrkarten für jeden einzelnen Tag des Aufenthaltes in der Tasche. So weckten auch die Einkaufszentren Alexa am Alexanderplatz oder die Mall of Berlin in der Nähe des Potsdamer Platz' und nicht zuletzt das KaDeWe am Ku' Damm das Interesse unserer Schüler. "Berlin - eine coole Stadt!", so lautete das Urteil vieler Teilnehmer.

Ein Bus - viele Schlafende

Gespickt mit vielen unterschiedlichen Eindrücken und Erlebnissen aus der Weltstadt Berlin und mit einem bestärkten Zusammengehörigkeitsgefühl fiel die Rückfahrt am Freitag im Bus deutlicher leiser aus als auf der Hinfahrt... Woran das wohl lag?

 

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