Vier Jahrzehnte Lehrerin aus Leidenschaft

Erstellt von S. Seeger |

In einer Feierstunde am letzten Schultag wurde Elisabeth ("Lise") Jürgens nach 40 Dienstjahren in den Ruhestand entlassen.

 

Rückblicke auf die Anfänge des Berufslebens

In ihrem gesamten beruflichen Wirken als Sonderpädagogin und Klassenlehrerin - nur einmal unterbrochen zur Geburt ihrer heute ebenfalls anwesenden Tochter - erlebte Lise Jürgens eine ganze Ära der Entwicklung und Umbrüche im Bereich Schule mit: Zu Beginn ihres Berufslebens in den frühen 1980ern war das Wort "Inklusion" weitgehend unbekannt und spielte im Schulalltag kaum eine Rolle, ihre Berufsbezeichnung lautete "Sonderschullehrerin" und ihre Schülerinnen und Schüler wurden fast ausschließlich in sogenannten "Sonderschulen" unterrichtet. Man sprach zwar schon damals vom Willen zur "Integration" von Schülerinnen und Schülern mit besonderem Unterstützungsbedarf, doch erst um die Jahrtausendwende herum setzte man sich mit dem Gedanken des geeigneteren Begriffs der "Inklusion" - ausgehend vom finnischen Schulsystem - allmählich auseinander. Dies führte zur heutigen Maßgabe, allen Kindern und Jugendlichen, die es wollen und deren Eltern dies wünschen, an allgemeinbildenden Regelschulen ihre Schullaufbahn zu ermöglichen. Diese "Zeitenwende" in der Sonderschulpädagogik, wie Lise Jürgens es in ihren Abschiedsworten nannte, bestimmte ihre berufliche Entwicklung ganz entscheidend, mit allen Vor- und auch Nachteilen, die jene Umstrukturierungen nach sich zogen und immer noch ziehen werden.

Gegenwart an der Sälzer-Sekundarschule

So war es für Lise Jürgens keine Frage - wie unsere Schulleiterin Frau Fuhlrott in ihrer Rede betonte - nach vielen Jahren des erfolgreichen Wirkens an der von der Schließung im Jahre 2014 betroffenen Friedrich-Fröbel-Förderschule in Werl mit der allmählichen Entstehung der Sälzer-Sekundarschule am gleichen Standort die neuen Herausforderungen gerne anzunehmen. Gleichsam fast als "Frau der ersten Stunde" wirkte sie nun am Aufbau des inklusiven, völlig neuen Schulsystems einer "Sekundarschule" mit und brachte ihre inzwischen jahrzehntelangen, wertvollen Erfahrungen mit in diese junge Schule.

Lise Jürgens, der es vor allem am Herzen lag, in den unteren Jahrgängen eine solide Basis für die Schülerinnen und Schüler zu legen und ihnen auch mit früheren Theaterfahrten und Museumsbesuchen die Kultur nahezubringen, arbeitete nun maßgeblich daran mit, an unserer Schule den "Time-Out"-Raum aufzubauen, ein Rückzugsort, der es Schülerinnen und Schülern in schwierigen Situationen ermöglichte, mit Hilfe von Beratung und Begleitung wieder zu sich selbst zu finden. Zusammen mit dem "ESE-Konzept", eine Weiterentwicklung des Unterstützungsgedankens für betreuungsintensive Schülerinnen und Schüler, entstand so das jetzige Beratungszentrum unserer Schule, das in dieser erfolgreichen Form ohne den kompetenten und überaus engagierten Einsatz der Pädagogin nicht denkbar gewesen wäre.

Mit Rat und Tat an der Seite von Schülern und Kollegen

Viele Kolleginnen und Kollegen - vom Berufsanfänger bis hin zur Schulleitung - holten sich gerne Rat bei Lise Jürgens und schätzten ihre Meinung, was Frau Fuhlrott und das jetzige Team 9, in dem die Pädagogin fünf Jahre lang vor allem tätig war, in Vertretung für das gesamte Kollegium gerne herausstellten und betonten.

Empathisch, zugewandt, in ihren Zielen und Überzeugungen aber auch konsequent handelnd, als sehr akribisch und sorgfältig arbeitende Gutachten- und Konzeptschreiberin beschrieben langjährige Weggefährten ihre Wirkungsweise, immer bestens vorbereitet und dennoch flexibel, "multifunktional" eben, wie Team 9 es beschrieb.

Und nun dem Ruhestand entgegen...

"Hast du schon ein Maßband aufgehängt und schneidest jeden Tag bis zur Pensionierung einen Zentimeter ab?", "Machst du schon Kreuze im Kalender?", "Was hast du so vor im Ruhestand?" und heute: "Wie fühlt es sich so an, an deinem letzten Tag?" Auf all diese Fragen von Kolleginnen und Kollegen in den letzten Wochen und Monaten weiß die jetzige Pensionärin noch keine rechte Antwort. Ein schwieriges, ganz neues Gefühl. Sie freue sich sehr auf die Sommerferien und die Zeit danach, aber was genau dann komme? "Ich weiß es noch nicht..." Aber nächste Woche sei sie noch mal in der Schule, "ich habe noch ein Elterngespräch..." Es ist sicherlich schwer, von "hundert auf null zu fahren"...

Der Abschied von ihrer langjährigen Klassenlehrerin fiel auch der Klasse 9a nicht leicht, mit Luftballons, einem Abschiedsbrief, Kuchen am heutigen Morgen kurz vor den Zeugnissen und auch so mancher Entschuldigung für das ein oder andere nicht ganz so "regelkonforme" Verhalten entließen auch sie ihre Lehrerin in herzlicher Weise in den Ruhestand. 

Das Kollegium sammelte für ihre nun scheidende Kollegin schon Wochen im Vorfeld in einem "Kollegiumsbuch" Erfahrungen und Situationen mit und Gedanken und Wünsche für Lise Jürgens, was ihr nun, zusammen mit Blumen und weiteren Präsenten, überreicht wurde. Dann sind Worte nicht "Schall und Rauch", sondern "für immer und ewig" festgehalten und nachzulesen.

Hartmut von Hentwig: "Liebe, Vorbild, Grenzen"

In ihrem Schlusswort brachte die Jubilarin in Anlehnung an den (nicht immer unumstrittenen) Erziehungswissenschaftler und Autor Hartmut von Hentwig mit drei einfachen Worten auf den Punkt, was Lehrerdasein im Wesentlichen für sie bedeute: "Liebe, Vorbild, Grenzen".

Es folgte der "inoffizielle Teil": Grillfest zum Abschied

Nach diesem offiziellen Teil ging es nun zum gemütlichen Part über, zum Grillfest, zu dem Lise Jürgens und Jürgen Mutzenbach, "Geburtstagskind" eines seltenen "runden" Geburtstages und immer noch unermüdlicher, aktiver Lehrer, eingeladen hatten. Dafür unseren herzlichsten Dank an beide!

Wir wünschen unserer nun ehemaligen Kollegin im wohlverdienten (Un-?) Ruhestand viel Gesundheit, eine glückliche und erfüllte Zeit mit ihrer Familie und viel Zufriedenheit bei allem, was in diesem neuen Lebensabschnitt folgen möge. Alles Gute!

Lesen Sie dazu auch den Artikel des Soester Anzeigers vom 17.07.2018.

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E. Jürgens, G. Fuhlrott (v.l.n.r.)